Seitdem ich 2003 einige Monate in Santiago de Compostela bei einer Gastfamilie gelebt habe, um Spanisch zu lernen, stand mein Entschluss fest: Das nächste Mal würde ich die Stadt nicht mit Flugzeug, Bus oder Bahn ansteuern, sondern als Pilger zu Fuß den Jakobsweg zurücklegen. Zu dieser Entscheidung hatte mich die offene und entspannte Atmosphäre in Santiago bewogen und der Blick in die vielen erschöpften, aber glücklichen Pilgergesichter. Außerdem wandere ich gerne, es ist für mich die perfekte Art, Land und Leute kennenzulernen. Obwohl, oder gerade weil, ich mich körperlichanstrengen muss, kann mein Geist sich entspannen. Es ist unglaublich befriedigend und erfüllend, eine Etappe Schritt für Schritt zu bewältigen und am Ende jedes Tages ein neues, noch unbekanntes Ziel ohne technische Hilfsmittel zu erreichen. Bis es soweit war, dass ich zusammen mit einem Freund die Wanderung auf dem Camino Francés in Angriff nehmen konnte, vergingen noch einige Jahre, denn man braucht vor allem eines: Zeit. Leider hatten wir auch im September 2007 immer noch nicht genug davon, um den gesamten französischen Weg, knapp 800 Kilometer von St. Jean-Pied-de-Port kurz vor der französisch-spanischen Grenze und Santiago, zu wandern. Drei Wochen konnten wir uns in den Semesterferien frei nehmen, mussten aber – ganz verschämt – das Wegstück zwischen Burgos und Villafranca del Bierzo mit dem Zug zurücklegen. Vorher hatte ich mir Routenbeschreibungen zugelegt und den damals angesagten Bestseller von Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ sowie Coelhos esoterisch angehauchtes „Auf dem Jakobsweg“ gelesen. Doch meine Wandererfahrung war glücklicherweise eine ganz individuelle. Ich wollte einfach nur wandern um des Wanderns willen: um mich zu bewegen, den ganzen Tag draußen zu sein und endlich mal wieder außerhalb der Universität Spanisch sprechen. Mit Pilgerausweis und Concha, der Jakobsmuschel als Pilgersymbol, ausgerüstet, geht es auf die erste und anstrengendste Etappe durch die Pyrenäen, deren Steigung uns – die noch ungeübten Pilger – gleich ins Schwitzen bringt. Auf dem Weg nach Spanien begegnen uns in den rauen und einsamen Bergen nur wilde Pferde, über uns kreisen Geier. Surreal und etwas unheimlich, aber die Belohnung ist der Blick hinunter auf das Kloster von Roncesvalles, wo ich so gut wie lange nicht mehr schlafe – trotz der vielen Schnarcher in der Herberge. Weiter führt uns der Camino durch die grünen Hügel Navarras bis Pamplona, wir schlendern durch die engen Gassen, schreiten einen Tag darauf über die majestätische Brücke von Puente la Reina, kommen mit anderen Wanderern unterschiedlicher Nationalitäten ins Gespräch. Français-, Español-und English-Brocken fliegen hin und her und wenn mal ein Wort fehlt, werden Hände und Füße zu Hilfe genommen. Die flechas amarillas zeigen uns – meistens zuverlässig – den Weg, und sind wir uns manchmal bei einer Weggabelung doch nicht ganz sicher, so helfen uns die aufgetürmten Steinmännchen weiter. Es geht weiter nach Burgos, dort gönnen wir unseren Füßen einen Tag Pause und setzen uns in die Bahn gen Westen. Auf einer Anhöhe empfängt uns O Cebreiro mit seinen Reet gedeckten, runden Häusern– Wir sind in Galicia und nähern uns unserem Ziel. Moose, Lianen, knorrige Wurzeln – man könnte meinen, man wäre im Urwald, würde nicht alle paar hundert Meter wieder eine kleine parroquia auftauchen, zwei, drei Häuser und Scheunen. Die Einheimischen grüßen uns freundlich auf Galego, freuen sich, wenn wir mit „Bos días“ antworten und bieten uns frische Himbeeren zum Verkauf an. Die Kühe muhen und Hunde und Katzen begleiten uns ein Stück des Weges. Auf einer fiesta in Melide bekommen wir die weltbesten Pimientos de Padrón geschenkt undverbringen die letzte Nacht in der traumhaft schön gelegenen Pilgerherberge in Ribadiso. Die letzte Etappe bricht an – einerseits herbeigesehnt, andererseits würden wir am liebsten nie ankommen. Auf dem Monte do Gozo erspähen wir die Türe der Kathedrale und kurze Zeit später laufen wir schon zu den Tönen der gaitas durch die Altstadt, lassen uns auf dem Plaza Obradoiro nieder und genießen mit vielen anderen Pilgern den zwiespältigen Moment der Ankunft – wehmütig und erschöpft und stolz und glücklich, ein bisschen von allem ist dabei. Zwar haben wir keine spirituelle Erleuchtung à la Coelho erfahren, doch sind wir uns auch nicht, wie von Kerkeling bemängelt, gegenseitig auf die Füße getreten. Im Gegenteil, wir gehören nicht zu den Opfern des Massentourismus, mussten uns nicht mit anderen Pilgern ein Wettrennen liefern, um das letzte Bett in der Herberge zu ergattern. Unabhängig vom Boom, den der Jakobsweg in den Medien erlebt hat, lässt er dir immer noch genügend Freiraum, um selbst zu entscheiden, wie du wandern willst. Auf entschleunigte Weise die Sprachen und Kulturen entlang des Weges kennenzulernen, kann ich Wanderbegeisterten und solchen, die es werden wollen, nur empfehlen.
Beke Sinjen
Mein Ehemann und ich machten uns am 18.7.2007 von Sarria aus auf den Weg nach Santiago de Compostela. Wir hatten uns vorgenommen nach 5 Tagen in Santiago anzukommen, sodass wir ca. 20 km pro Tag wandern mussten. Das Wetter spielte glücklicherweise mit, dennoch waren wir nach dem ersten Tag schon sehr geschafft. Auf dem Weg nach Santiago gab es viele Herbergen für die Pilger weshalb wir immer einen Platz zum Schlafen und Essen hatten.
Auf dem Weg begegneten wir Menschen aus verschiedenen Nationen. Es gab viele Deutsche von denen einige von zu Hause losgegangen waren. Manche legten sogar 60 km am Tag zurück. Unser gemeinsames Ziel war es Santiago zu erreichen und wir trafen insgesamt nur freundliche, hilfsbereite und offene Menschen. Alle wünschten sich stets einen „Bo Camiño!“, das heißt so viel wie „einen guten Weg!“.
Was mich anbetrifft, merkte ich die Anstrengung von Tag zu Tag mehr, verfiel jedoch gleichzeitig in eine Art Zustand der Meditation. Mir wurde klar, wie wenig Materielles ich zum Leben benötigte und wie gut es tat die mediale Welt zu vergessen. Ich las viel, führte tiefgehende Gespräche mit meinem Mann und lernte, bezogen auf die körperliche Anstrengung, meine Schwächen zu überwinden.
Am 23.7. erreichten wir schließlich Santiago de Compostela und waren glücklich diese Herausforderung gemeistert zu haben.
Katarzyna Morka