Zur Jakobus-Verehrung im Norden:

Jakobus, der hl. Apostel und Jünger Jesu, Sohn des Zebedäus und der Salome, Bruder des hl. Evangelisten Johannes, Jakobus Maior oder Jakobus der Ältere, wurde im Laufe des Mittelalters von Kaufleuten, Schiffern, Rittern und vor allem von Pilgern, aber auch, als »Kornpatron«, von Bauern verehrt. Im späten Mittelalter galt er außerdem als Patron der »Küfer, Hutmacher « (aufgrund der Pilgerhüte), »Apotheker, Arbeiter, Drogisten, Krieger, Lastträger, Strumpfwirker, Wachszieher, Kornmesser und der Waisenkinder«. Der folgende Überblick über seine Verehrung im Norden ist in zeitlicher Hinsicht auf das Mittelalter und in räumlicher beschränkt auf Skandinavien, den Ostseeraum und die küstennahen Gebiete Norddeutschlands. Er umfasst somit nicht den gesamten Bereich der Hanse. Der hl. Jakobus wurde zu der Verbindungsperson schlechthin zwischen dem Norden und dem »Jakobsland«, wie Spanien, gelegentlich auch nur Galicien in Skandinavien genannt wurde. Diese Verbindung war nicht nur eine ideelle. Davon zeugen die im Norden errichteten und dem hl. Jakobus geweihten Kirchen und die zahlreichen vom Norden her zu Wasser und zu Land zur Kathedrale von Santiago de Compostela aufbrechenden Pilger.
[…]
Patrozinienkunde und Pilgerforschung bieten Möglichkeiten, die Entwicklung der Jakobsverehrung im Norden zu beleuchten. Die Frage aber, wer im Norden den Bau von Jakobikirchen betrieb bzw. wer bereits bestehende Kirchen dem hl. Jakobus weihen ließ, lässt sich nicht generell beantworten. […] Die Jakobsverehrung im Norden zwischen 1164 (dem Jahr der Errichtung des Erzbistums Uppsala und der Einsetzung Erzbischof Stephans durch Papst Alexander III) und 1410, dem Jahr der Schlacht von Tannenberg bzw., nach polnischer historiographischer Tradition, von Grunwald, stellt einen ersten Höhepunkt dar. Eingeleitet durch die veränderten Machtverhältnisse, die bedingt waren durch die am 14.8.1385 im Vertrag von Krewo (litauisch Kriava) zwischen Graf Jagiello von Litauen und den Abgesandten des Königreichs Polen »vollzogene Union zwischen Litauen und Polen«, die »den Deutschen Orden von der Offensive in die Defensive« drängte, bedeutete Tannenberg sehr wohl eine Wende in den Kreuzzügen des Nordens.
Im Jahre 1410 eine Zäsur zu setzen ist auch im Hinblick auf die Kirchenbauten mit dem Jakobspatrozinium gerechtfertigt, weil im Norden bis zum frühen 15. Jahrhundert in verschiedenen Städten große, dem hl. Jakob geweihte Kirchen (teilweise als Ersatz für ihre bescheideneren Vorgänger) vollendet wurden, so die Jakobikirchen in Riga (die drei Schiffe mit Kreuzrippengewölben entstanden etwa Mitte 13. bis Anfang 14. Jh.), Greifswald
(vollendet vor 1330), Rostock (begonnen um 1280, Chor erstmals 1329 erwähnt), Lübeck (Beginn der Umgestaltung der Halle zur Basilika Ende des 13. Jhs., Chorweihe 1334), Thorn / Toruń (laut Inschrift 1309 begonnen, vollendet um 1360, Vorhalle 1. Hälfte 15. Jh.), Kulm / Chełmno (ca. 1310/20–ca. 1375/85) und Stralsund (Weihe durch den Bischof von Cammin 1351). In der Zeit zwischen dem Vertrag von Krewo (1385) und der Schlacht von Tannenberg bzw. Grunwald (1410) wurden die Jakobikirchen von Wehlau / Snamensk am Pregel (Chor 1360–80, Langhaus und Turm vor 1400), Stettin / Szczecin (Errichtung des Chors mit Umgang und Kapellenkranz 1375–87, des Langhauses um 1400) vollendet, die von Allenstein / Olsztyn (um 1400/10 bis ca. 1420/30) wenig später. In dem Zeitraum danach, von 1410 bis um 1520, d.h. bis zur Reformation, wurde der um 1360 begonnene Neubau der Jakobikirche in Hamburg vollendet und um ein zweites südliches Seitenschiff ergänzt (bis 1508). Im Übrigen wurden im Norden keine großen Jakobikirchen mehr neu gebaut, jedoch von den bereits bestehenden manche erweitert.
Wallfahrten waren – nach einem Rückgang im frühen 14. Jahrhundert – seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts im Aufschwung begriffen. In Lübeck fiel die »erste ›Welle‹ der Wallfahrtsbegeisterung […] in die Zeit, da die Hanse und Lübeck im Frieden von Stralsund (1370) ihren politischen Höhepunkt erreicht hatten.« Gerade auch die fernen Ziele waren beliebt. Obwohl in vielen Hansestädten »seit Beginn des 15. Jahrhunderts vor Fernwallfahrten gewarnt« und sie nicht selten »vom Rat sogar verboten « wurden, blieb die Santiagowallfahrt im 15. und im frühen 16. Jahrhundert außerordentlich populär, veränderte sich aber gegenüber den Jahrhunderten zuvor insofern, als nunmehr die Gegensätze zwischen den armen, bettelnden und den vornehmen, reichen Pilgern schärfer, konfliktreicher zutage traten. Gewalttaten und Verbrechen nahmen zu.
Unterrichtet sind wir darüber nicht zuletzt durch von Santiagopilgern verfasste Reiseberichte, die seit ca. 1400 erhalten geblieben sind. Für den ritterlichen Pilger (peregrino caballeresco) »und die adligen Rittergesellschaften war die Compostela-Fahrt ein interessanter Zeitvertreib, der […] mit seinen (für diese ›Pilger‹ freilich bescheidenen) Risiken dem Gedanken der Aventure in glücklicher Weise entsprach«, und für die wohlhabenden Patrizier aus Oberdeutschland bedeutete Santiago wenig mehr als eine Station auf »einer Informations- und Bildungsreise durch Westeuropa «.
Unter den armen Pilgern aber – die waren in der Mehrheit – gab es nicht wenige Verbrecher.
Die »Strafwallfahrt als Instrument weltlicher Gerichtsbehörden« erlebte »damals eine ausgesprochene Blütezeit «. »Die Skala der Verbrechen, für die eine Verurteilung zur Strafwallfahrt ausgesprochen werden konnte, reichte von Mord und Totschlag über
Körperverletzung, Raub und Diebstahl bis hin zu Beleidigungen und Schmähungen. […] Die Strafpilger waren arm – hatten sie doch offensichtlich von der bestehenden Möglichkeit, ihre Zwangswallfahrt durch Zahlung einer Geldsumme abzulösen, keinen Gebrauch gemacht.« In Pilgertracht waren sie weder von den freiwillig Pilgernden noch von denen unterscheidbar, die im Auftrag eines anderen, von dem oder aus dessen nachgelassenem Vermögen sie sich bezahlen ließen, auf dem Weg nach Santiago waren. Falsche Pilger, also Landstreicher, die, als Pilger auftretend, sich Almosen geben ließen und in den Pilgerherbergen Unterschlupf fanden, aber auch Räuber waren mit von der Partie. Seit »der Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt sich in der Anti-Pilger-Kriminalität eine neue Dimension abzuzeichnen, die organisierte Wegelagerei«. Die Pilgerfahrt nach Santiago über Land wurde dadurch gefährlicher als je zuvor, der Seeweg freilich war nicht nur der Stürme, vielmehr auch der Seeräuber wegen immer schon risikoreich gewesen. Einer der Gründe für den Rückgang der Santiago-Pilgerfahrten im 14. Jahrhundert war der große, auch geschäftliche Erfolg des 1300 zum ersten Mal – und dann wieder 1350, 1390, 1400, 1423 usw. – begangenen römischen Heiligen Jahres mit Jubiläumsablass gewesen, das die Pilgerscharen tendenziell von allen anderen Wallfahrtsorten abzog. In Santiago, wo man dem Pilgerschwund durch die Einführung eines Heiligen Jahres nach römischem Vorbild und entgegen steuerte, wurde und wird dieses Jubiläumsjahr immer dann gefeiert, wenn das Jakobsfest (25.7.) auf einen Sonntag fällt, also 1423, 1428, 1434, 1445, 1451, 1456, 1462 usw. Da das Pilgeraufkommen – freilich liegen nur über englische Pilger genaue Zahlen vor – erst im Jubeljahr 1428 deutlich anstieg, ist davon auszugehen, dass die Propaganda für dieses Jubiläum erst um 1425 einsetzte. Dass die Pilger in entsprechend den Jubeljahren an- und wieder abschwellenden Wellen Santiago erreichten, ist jedenfalls ein für das 15. Jahrhundert charakteristisches, zuvor nicht nachweisbares Novum.

(Ulrich Kuder, „Jakobus-Verehrung im Norden. Ein vorläufiger Überblick“, S. 193-196, bearbeitet für diese Website). Quelle: Der Jakobsweg und Santiago de Compostela in den Hansestädten und im Ostseeraum. Akten des Kolloquiums an der Universität Kiel, 23.-25. April 2007. Herausgegeben von J. Gómez-Montero, Kiel: Ludwig 2011 (S. 191-300)

Sprachen und Sprachpolitik entlang des Jakobsweges, Romanisches Seminar der CAU zu Kiel: 28.05.2013
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EUROPA AUF DEN JAKOBSWEGEN            KIEL, LANDESHAUS: 22. 11. – 19. 12. 2011 | CENTRE CULTUREL FRANÇAIS, KIEL: 24.01. - 24.02.2012
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Congress Santiago (21./22.10.2011)
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