Weil er über Le Puy führt, heißt der zweite Weg Via Podensis: Nach Lyon, Vienne und Valence erreichten die Jakobspilger, die von Osten kamen, die herrliche inmitten einer Vulkanlandschaft gelegene Stadt, an deren Baudenkmälern sie bereits so manches spanische Element erkennen konnten. Nach Le Puy gelangte man auch über Clermont, Issoire, Sauxillanges, Brioude und die Abtei Chause-Dieu. Der Pilgerführer läßt seine Wegbeschreibung in Le Puy beginnen. Die Route verläuft weiter über das Hospiz von Aubrac, das sich noch heute am Horizont abzeichnet – in dieser unbesiedelten Gegend verbargen sich damals gefährliche Räuber. Nach dem einladenden lieblichen Espalion, nach Estaing, wo sich noch die Saint-Fleuret-Prozession erhalten hat, gelangten die Pilger in die eindrucksvollen Dourdou-Schluchten und rasteten in Conques, einem wichtigen Etappenort an ihrem Weg und einer im Mittelalter weithin berühmten Stadt.
„Die Burgunder und die Deutschen, die über die Straße von Le Puy nach Santiago ziehen“, liest man im Pilgerführer, „müssen das Grab der hl- Jungfrau und Märtyrerin Fides besuchen. Sie wurde von Henkern auf dem Berg der Stadt Agen enthauptet, dann brachten Engelschöre ihre heiligste Seele in Gestalt einer Taube zum Himmel und schmückten sie mit dem Lorbeer der Unsterblichkeit. Als der Bischof der Stadt Agen, der hl. Caprasius, dies sah – er hielt sich, um den grausamen Verfolgungen zu entgehen in einer Höhle verborgen -, eilte er, von dem Gedanken an ein eigenes Martyrium beseelt, an den Leidensort der seligen Jungfrau. Dort verdiente er sich in einem mutigen Kampf den Lohn des Martyriums, er bezichtigte sogar seine Henker der Langsamkeit.“ Der Text des Pilgerführers, der den berühmten Diebstahl unterschlägt, durch den die Abtei am Dourdou in den Besitz der Gebeine des hl. Fides gelangte, sagt nur: „Der kostbare Leichnam der hl. Jungfrau und Märtyrerin Fides wurde in einem Tal, das gemeinhin Conques heißt, von den Christen ehrenhaft beigesetzt; über dem Grab errichteten sie eine schöne Basilika, in der bis heute zum Ruhme Gottes die Benediktregel unverändert befolgt wird. Dort erfahren Gesunde und Kranke zahlreiche Wohltaten. Vor den Toren der Basilika sprudelt eine Quelle, deren Wunderkraft unbeschreiblich ist.“
Von Conques stiegen die Pilger hinab nach Figeac, Marcilhac und Cahors. In der letztgenannten Stadt am Fluß Lot fanden sie ein Hospiz, die Kathedrale Saint-Etienne mit einem Tympanon aus der Zeit um 1135, das eine sehr schöne Himmelfahrt darstellt, und die ausgewogenen Silhouette der Valentré-Brücke. Durch ein fruchtbares Tal wanderten sie auf Moissac, seine Abtei mit ihren Skulpturen zu und durchquerten vier Bischofsstädte: Lectoure, Condom, Eauze und Aire-sur-l’Adour. In Ostabat gesellten sie sich dann zu den Jakobspilgern, die über die beiden anderen, weiter westlich verlaufenden Wege, […], gekommen waren.
Eine wichtige Variante der Via Podensis ging nicht von Le Puy aus, sondern von Brioude und führte über Aurillac, das sehr stark besuchte Heiligtum Rocamadour, Eysses und Agen nach Condom.
BOTTINEAU, Y.: Der Weg der Jakobspilger. Geschichte, Kunst und Kultur der Wallfahrt nach Santiago de Compostela. Bergisch-Gladbach 1987. S. 92ff.